Parlamentarische Initiative zur gesetzlichen Anerkennung der Verantwortung der Pflege

Die parlamentarische Initiative zur gesetzlichen Anerkennung der Verantwortung der Pflege verlangt, dass die diplomierten Pflegefachpersonen die ohnehin bereits eigenständig erbrachten Pflegeleistungen, beispielsweise die Körperpflege, zuhanden der obligatorischen Krankenversicherung abrechnen können. Und zwar ohne, dass zuerst ein Arzt diese Pflegeleistungen verordnen muss, somit können diplomierte Pflegefachpersonen kosteneffektiver handeln.

Für den SBK steht diese Initiative zuoberst auf der Prioritätenliste. Im Sommer wird die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) den Gesetzesentwurf beraten.

Lesen Sie hier die aktuellen Artikel zum Thema:
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Pflege-ohne-aerztliche-Anordnung/story/10854126

2014_4_bund_pflege_ohne_aerztliche_verordnung.pdf

Berner Pflegefachfrauen zeigen dem Nationalrat Rudolf Joder, was sie können

Auf Einladung des Berufsverbands SBK verschafften sich Nationalratsmitglieder ein Bild professioneller Pflege vor Ort. Der Belper SVP-Nationalrat Rudolf Joder, Initiant des Vorstosses, besuchte das Haus für Pflege in Bern.

Mehr pflegebedürftige Menschen, aber viel zu wenig Pflegepersonal, das sich um sie kümmern kann: Statistiker warnen unsere alternde Gesellschaft seit einiger Zeit vor einem solchen Zukunftsszenario. Bis 2050 dürfte sich die Zahl der Pflegebedürftigen in der Schweiz nahezu verdoppeln. Viele von ihnen werden hochaltrig sein, mehrfach und chronisch krank. Für Spitäler, Heime und Spitexorganisationen ist es bereits heute ein Kraftakt, genügend qualifiziertes Personal zu finden. Bis 2030 müssen aber Zehntausende Gesundheitsfachkräfte zusätzlich rekrutiert werden. Massnahmen, um die Versorgung zu sichern, sind also gefragt. In den Gesundheits- und Sozialkommissionen von National- und Ständerat wird derzeit über eine parlamentarische Initiative diskutiert, die die Pflege aufwerten und den anspruchsvollen Beruf attraktivieren will.

Eingreicht hat den Vorstoss vor zwei Jahren der Belper SVP-Nationalrat Rudolf Joder. Er schlägt vor, die Eigenverantwortung der Pflege im Krankenversicherungsgesetz (KVG) zu verankern: Künftig sollen Pflegefachkräfte einen Teil der Pflegeleistungen selbständig erbringen und direkt über die Krankenversicherung abrechnen können. Gemeint sind Leistungen wie die Unterstützung der Patienten bei Körperpflege und Ernährung, die Prävention von Komplikationen wie Wundliegen oder Thrombosen, die Anleitung von Patienten und Angehörigen sowie Koordinations- und Informationsaufgaben. Heute ist für sämtliche pflegerischen Leistungen eine ärztliche Anordnung erforderlich. Ob in der Spitex, im Pflegeheim oder im Spital – Pflege gelte zu Unrecht als Hilfsberuf, findet Joder:  «Gut ausgebildete Pflegefachleute sind in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu handeln. Sie kennen die Patienten und stehen in Kontakt mit ihnen.»

Menschliche Schicksale, komplexe Pflege

Um der Politik Einblick in die professionelle Pflege zu geben, lud der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) Nationalrätinnen und Nationalräte zu einem Schnuppereinsatz ein. Auch Initiant Rudolf Joder zog Ende September Pflegekleidung an und heftete sich im Stadtberner Haus für Pflege ein paar Stunden an die Fersen der jungen Pflegefachfrau Selina Siegenthaler. In der Institution im Tiefenau-Quartier werden 38 Patientinnen und Patienten in Übergangsphasen betreut. Die meisten kommen aus dem Spital oder aus einer Reha-Klinik. Nachgelagerte Institutionen wie das Haus für Pflege spüren den Druck, der seit der Einführung der Fallpauschalen 2012 auf den Spitälern lastet. Im Haus für Pflege werden die Patienten dabei unterstützt, wieder möglichst viel Selbständigkeit zu erlangen. Viele kehren nach Hause zurück oder wechseln, mit tieferem Pflegebedarf, in ein Heim.

Mit geübten Griffen hilft Pflegefachfrau Selina Siegenthaler einem 61-jährigen Patienten vom Bett in den Rollstuhl. Der Mann erlitt bei einem Verkehrsunfall komplizierte Beinbrüche und wird nach den Spitalaufenthalten nun von der Pflege in der Mobilisation gefördert. Im nächsten Zimmer versorgt Selina Siegenthaler einen Multiple-Sklerose-Patienten über eine Magensonde mit Tee. Der 66-Jährige kann sich nicht bewegen und seit einem Hirnschlag auch nicht mehr gut sprechen. Zur Entlastung der Ehefrau verbringt der schwer kranke Mann, der sonst zuhause lebt, ein paar Tage im Haus für Pflege. Menschliche Schicksale, die den Pflegefachpersonen nicht nur Fachwissen abverlangen, sondern auch Sozialkompetenz und Einfühlungsvermögen. Nationalrat Joder ist beeindruckt: «Die Komplexität der Krankheitsbilder und die Patientenvielfalt im Haus für Pflege zeigt, was Pflege heutzutage leistet.» Der Pflege im KVG mehr Autonomie zu übertragen, würde nachvollziehen, was heute bereits vielenorts gängige Praxis sei. Ärzte und Pflegefachkräfte arbeiten im Haus für Pflege partnerschaftlich zusammen. Der in der Institution tätige Fach- und Hausarzt Michael Schneider aus Bern sagt, er stütze sich ganz auf die Erfahrung und die Kompetenz des diplomierten Pflegepersonals ab. Dass er die Erhebung des Pflegebedarfs und die Einstufung durch die Pflegefachperson nach heutiger Regelung noch unterschreiben müsse, sei überflüssig und koste Zeit.

Keine Kostensteigerung zu erwarten

Die vorberatenden Kommissionen von National- und Ständerat hiessen Joders Vorstoss ohne Gegenstimmen, mit wenigen Enthaltungen, gut. In diesen Tagen arbeitet die nationalrätliche Gesundheitskommission einen Gesetzestext aus. Initiant Joder hält es für wichtig, die Bereiche von Ärzten und Pflegefachleuten sachgerecht abzugrenzen. Eine Mengenausweitung und damit eine Kostensteigerung erwartet er durch seinen Vorstoss nicht: «Wir wollen ja keine neuen Leistungen schaffen, sondern bei den bestehenden Leistungen einen Bereich mit mehr Verantwortung für die Pflege definieren.» Im Gegenteil: Die neue Regelung dürfte laut Joder gar zur Kosteneffizienz beitragen. Die heute obligatorische ärztliche Anordnung pflegerischer Leistungen verursache teils unnötigen Aufwand.

In der langlebigen Gesellschaft werde Pflege an Bedeutung gewinnen, ist Joder überzeugt. Schon heute nehme sie auch soziale Funktionen wahr, weil immer mehr Leute allein lebten. Die ältere Generation, der die Schweiz viel zu verdanken habe, verdiene gute Pflege. Auch SBK-Geschäftsführerin Yvonne Ribi hofft, dass das Parlament die Verantwortung der Pflege anerkennt. In einem Beruf, der Handlungs- und Entscheidungsspielräume biete, sei es einfacher, Nachwuchs zu rekrutieren. Zudem könne so der hohen Ausstiegsquote in der Pflege-Branche entgegengewirkt werden: «Qualifizierte Pflegefachpersonen würden länger im Beruf bleiben.» All dies, bilanziert Yvonne Ribi, könnte den Pflegepersonalmangel in der Schweiz entschärfen helfen.

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Pflegefachfrau Selina Siegenthaler gibt Nationalrat Rudolf Joder (Mitte) im Berner Haus für Pflege Einblick in ihre verantwortungsvolle Arbeit.